Was ist Angst?

Die Angst ist so alt, wie die höherentwickelten Lebewesen. Schon unseren Vorfahren diente sie als Schutzfunktion. Betrachten wir als Beispiel einen Steinzeitmenschen auf der Jagd. Trat für ihn eine unberechenbare Situation ein, weil er z.B. einem gefährlichen Raubtier begegnete, dann erstarrte der Bedrohte in Angst. Eine unbewegliche Beute ist für Raubtiere oft nicht interessant, wird evtl. übersehen.
Was war passiert? Unser Vorfahr hat ein Raubtier erblickt, sein Unterbewußtsein gibt aufgrund von Erfahrungswerten das Signal "Gefahr" aus. Der Körper erstarrt, der Atem stockt, um möglicht kein Geräusch zu verursachen. Adrenalin wird ausgeschüttet. Der Kreislauf arbeitet auf Hochtouren, alle Muskeln werden optimal durchblutet. Durch die chemisch/biologischen Prozesse steigt die Körpertemperatur. Schweiß dringt aus den Poren, um durch seine eigene Verdunstung zu kühlen. Die Körperfunktionen werden für eine evtl. Flucht oder Verteidigung auf höchstes Leistungsniveau gebracht. Unser Vorfahr hat eine ganz gesunde Angst.

In unseren heutigen Kulturen werden wir wohl kaum mehr Raubtieren ungeschützt begegnen. Aber dafür haben sich die Gefahrenmomente für uns auch nur verlagert. Und wir erfahren diese gesunde Angst in entsprechenden Situationen, genau wie unser Vorfahr. Eins haben wir mit ihm heute noch gleich, die auslösenden Momente der Angst. Entweder ist es eine bekannte Situation oder auch durchaus eine unbekannte Situation, deren Risiko wir nicht einzuschätzen mögen, die aber mit einigen Signalen mögliche Gefahr signalisiert.

Fazit: Angst ist in der Grundanlage eine natürliche und notwendige Funktion. Sie schützt und hilft in bedrohlichen oder bedrohlich wirkenden Situationen. Die Angsterfahrung läßt uns Risiken besser beurteilen und entsprechend handeln.


Vermeidung durch Angst.

Wir haben durch bestimmte Situationen Angst erfahren. Im Unterbewußtsein werden die Erfahrungen verschieden interpretiert.

  • Eine Interpretation besagt, daß die Angst in bestimmten Situationen unbegründet oder nur wenig begründet war. Wir werden uns später wieder auf entsprechende Situationen einlassen, evtl. mit der nötigen Skepsis.
  • Die andere Interpretation besagt, daß die Angst in bestimmten Situationen durchaus begründet war. In Zukunft werden wir versuchen solche Situationen zu vermeiden.
  • Diese beiden Interpretationsformen charakarisieren im Prinzip die Formen von objektiv begründeter Angst. Dabei ist der Begriff "objektiv" mit Vorsicht zu geniessen, denn die Risikobewertung fällt bei Menschen in bestimmten Situationen unterschiedlich aus, je nach Erfahrung und Grundeinstellung.


    Trotz Angst nicht vermeiden.

    Es gibt Situationen, denen wir trotz Angst nicht ausweichen. In diesem Falle haben wir gelernt mit der Angst zu leben. Wichtig dafür ist die Zielsetzung, ohne die wir uns der Angst nach Möglichkeit nicht aussetzen würden.

    Am besten ist immer ein Beispiel direkt aus dem Leben:
    Auch ich lebe mit einer objektiv nicht begründeten Angst, dem Lampenfieber. Ich bin ausgebildeter Sänger, in der Stimmlage Bariton. Gelegentlich singe ich Kantaten, Arien und Lieder solistisch in Konzerten. Dabei sterbe ich unmittelbar vor den Aufführungen immer wieder tausend Tode, glaube es nicht zu schaffen. Ausgeklügelte Atemübungen können das auch nur mäßig lindern. Und trotzdem stell ich mich immer wieder vor das Publikum und singe.

    Mehrer Dinge sind mir dafür wichtig, daß es funktioniert:

  • Ich weiß, woraus die Angst entsteht. Es ist der vermeintlich hohe Anspruch, den das Publikum stellt und den ich dadurch auch an mich selbst stelle.
  • Die Bewußtmachung meiner eigenen Fähigkeiten. Das soll aus dem Publikum erst mal jemand so machen wie ich.
  • Ich werde und muß es nicht allen recht machen, aber auch so werde ich genügend erreichen.
  • Ich kenne meine Angst, akzeptiere sie, weiß daß ich sie überwinden werde. Die Angst endet allmählich, wenn ich meinen Vortrag beginne.
  • Ich lasse die Angst zu, nehme sie als treibende Kraft mit in den Vortrag. Die Angst kann sich so positiv auf meine Konzentration auswirken. Der Spruch "Angst verleiht Flügel" hat seine Berechtigung.
  • Würde ich die Angst nicht zulassen, wäre sie mein Feind. Es würde sich dann Panik entwickeln und ich wäre mit Sicherheit nicht fähig einen einzigen Ton zu singen.
  • Das Ziel, das ich erreichen will, ist die treibende Kraft. Ich habe selber Freude am Singen und weiß, daß es anderen auch Freude macht. Schon die Vorarbeit ist für mich jedesmal aufregend, erst recht die Aufführung. Mit dem Beifall des Publikums ist das Ziel für mich dann erreicht.
  • Natürlich braucht man für diese Verhaltensweisen Selbstbewußtsein. Das stellt sich aber von ganz alleine ein, wenn man sich erst einmal "getraut" hat und bemerkt, daß es funktioniert. Je öfter man sich dieser Angstsituation wiederholt aussetzt, um so stärker wird das Selbstvertrauen (der Fachmann nennt das Konfrontation). Die Routine ist dabei ein guter Helfer.


    Angst kann krank machen

    Problematisch wird es, wenn die Angst uns in unserem Tun und Handeln dermassen beeinflusst, daß wir zu einem normalen Leben nicht mehr fähig sind. Wenn die Angst uns beherrscht und nicht umgekehrt, zum einem Hauptteil unseres Lebens wird, ist dies ein krankhafter Zustand.

    Werden selbst minimale Risiken überbewertet und Signale falsch interpretiert, besteht eine unbegründete Angst (Phobie). Die Phobie läßt bestimmte Situationen und Handlungen nicht zu, wir vermeiden sie konsequent. Es gibt viele verschiedene Phobien, mit einigen läßt es sich durchaus gut leben, solange sie keinen größeren Einfluß auf unser Leben haben.
    Phobien lösen bei den Betroffenen verschiedene sichtbare Prozesse aus, wie Schweißbildung, bleiche Gesichtsfarbe, Zittern und hektische Flucht. Damit berühren die Phobien eine Schamgrenze. Dem Betroffenen ist es peinlich, er befürchtet jeder könne ihm seine Angst ansehen und sich darüber lustig machen. Dadurch manifestiert sich dann aber eine soziale Phobie. Der Betroffene traut sich nicht mehr unter Menschen, höchstens in die Nähe der Personen, die sein Problem ohnehin schon kennen und verstehen.


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